Der Verband Wiener Wohnungslosenhilfe stellte heute im Rahmen einer Pressekonferenz seinen Situationsbericht 2024 vor, mit besonderem Augenmerk auf die Hürden der Systeme für wohnungslose Menschen. Sozioökonomisch benachteiligte Personen sind auf ihrem Weg zur eigenen Wohnung mit besonders vielen Hürden konfrontiert: Der Anteil an gefördertem Wohnbau in Wien geht zurück (um 34 % zwischen 2018 und 2021). Gleichzeitig steigt der Preis bei privater Miete in Wien weit über der allgemeinen Inflation und den Lohnanpassungen an (um 67 % seit 2008). Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten ist der Zugang zu leistbarem, sozialem Wohnbau an zahlreiche hochschwellige Voraussetzungen geknüpft und der Vergabeprozess oft intransparent gestaltet. Außerdem sind die Wartezeiten auf geeignete Wohnungen lang. Auch wenn die Expert*innen die betroffenen Menschen bestmöglich unterstützen - häufig sind es strukturelle Rahmenbedingungen, die den Weg zu einer eigenen Wohnung erschweren. In besonderem Maße benachteiligt sind hierbei Mehrpersonenhaushalte und junge Erwachsene. Zusätzlich zeigen sich vermehrt weitere Herausforderungen im System der Wiener Wohnungslosenhilfe.
Digitalisierung als Hürde
Die Digitalisierung schreitet in allen Bereichen unseres Lebens voran und beeinflusst somit unser Denken und Handeln. Auch in der Wiener Wohnungslosenhilfe spielt die Digitalisierung eine zunehmend große Rolle. Viele Dienstleistungen sind heute online verfügbar, was für einige Personen den Zugang zu wichtigen städtischen Angeboten sicherlich erleichtert. Doch nicht jeder Mensch kann von diesem Fortschritt gleichermaßen profitieren. „Neben der existentiellen Sorge um ihren Wohnraum kämpfen wohnungslose Menschen oft auch mit strukturellen Hindernissen und Erschwernissen, wie z.B. der zunehmenden Digitalisierung oder auch oft komplizierten und schwer verständlichen Anträgen bei Behördenwegen“, so Mag.a Waltraud Kothbauer, Leiterin des Bereichs Wohnungslosenhilfe im Wiener Roten Kreuz. Neben der existentiellen Sorge um ihren Wohnraum kämpfen wohnungslose Menschen oft auch mit strukturellen Hindernissen und Erschwernissen, wie z.B. der zunehmenden Digitalisierung oder auch oft komplizierten und schwer verständlichen Anträgen bei Behördenwegen. Wer keinen festen Wohnsitz hat, dem fehlt oft auch der Zugang zu einem Internetanschluss oder einem Smartphone. „Analoge Alternativen müssen daher erhalten bleiben, um allen Menschen Zugang zu Dienstleistungen und Behörden zu ermöglichen, unabhängig von ihren technischen Möglichkeiten“, führt Kothbauer weiter aus.
Wohnungslose alleinerziehende Mütter
Auch die familiäre Situation der wohnungs- und obdachlosen Personen ist im System von Bedeutung. An der Situation alleinerziehender Frauen am österreichischen Arbeitsmarkt verdeutlicht sich deren doppelte Diskriminierung - als Frauen und als Mütter. „Die ohnehin enormen Herausforderungen alleinerziehender Mütter verstärken sich durch die Wohnungslosigkeit noch zusätzlich. Ein übergreifendes Merkmal dieser ansonsten diversen Gruppe ist die Abhängigkeit von öffentlicher Unterstützung. Sie wird besonders in Themenbereichen wie Migration, Gesundheit oder Arbeit - mit starker Ausprägung im Niedriglohnsektor, verschärft durch ein meist fehlendes soziales Netzwerk sowie den fehlenden Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung - deutlich. Die Verschränkung von begleiteten Wohnmöglichkeiten, Beratung und Arbeitsintegration steuert dem gezielt entgegen und erweist sich als wesentlich für eine dauerhafte Eigenständigkeit und Stabilität der Familie“, erklärt Nicole Meissner, MSc BA, Geschäftsführerin der St. Elisabeth-Stiftung.
Rettungsanker Wohnungslosenhilfe
Die Lage der Wiener Wohnungslosenhilfe ist aktuell besonders herausfordernd: In allen Bereichen gibt es Wartezeiten und ungedeckte Bedarfe, während sich eine besorgniserregende Entwicklung abzeichnet: Im Jahr 2023 waren über 750 Menschen mehr als obdach- oder wohnungslos in Österreich registriert als im Jahr davor. Die negative Wirtschaftsentwicklung, die schwierige Situation am Arbeitsmarkt und die Krise des leistbaren Wohnens alarmieren: „Schon jetzt konstatieren wir, dass sich das Risiko, wohnungs- oder obdachlos zu werden, in die Mitte der Gesellschaft hinein verbreitert. Dort, wo vorgelagerte Systeme versagen, muss die Wohnungslosenhilfe verlässlich einspringen - sie ist der letzte Rettungsanker. Gerade jetzt braucht es einen sozialen und inklusiven Wohnungsmarkt, ein effektives Sozialsystem - und Investitionen in die Wohnungslosenhilfe, um Wohnungslosigkeit nicht nur zu verwalten, sondern z.B. mit Housing First nachhaltig zu beenden“, so Mag.a Elisabeth Hammer MSc, Geschäftsführerin neunerhaus.
Konkrete Forderungen des Verbands Wiener Wohnungslosenhilfe an die Politik
Der Verband Wiener Wohnungslosenhilfe fordert daher die konkrete Umsetzung von Maßnahmen, die diese Hürden reduzieren. Es braucht eine inklusive Handhabung und Transparenz bei der Wohnungsvergabe, die Öffnung zum sozialen Wohnbau sowie mehr Bestand für verschiedene Haushaltskonstellationen. Darüber hinaus bedarf es der Aufrechterhaltung analoger Angebote und der Betreuungsplätze für Kinder - auch in den Ferien und ohne Anmeldung beim Arbeitsmarktservice. Weiterhin ist es notwendig, ein verbindliches Kontingent an Housing-First-Wohnungen in allen Segmenten des Wohnungsmarktes zu schaffen.
Zu den Fotos der Pressekonferenz (Fotocredit: WRK/Holly Kellner)
Zu den Fotos aus dem Situationsbericht (Fotocredit: Manfred Weis)
Verband Wiener Wohnungslosenhilfe
Der Verband Wiener Wohnungslosenhilfe ist eine Kooperation aus den Mitgliedsorganisationen ARGE Wien, Caritas der Erzdiözese Wien, Diakonie Flüchtlingsdienst, Heilsarmee, neunerhaus, Samariterbund Wien, St. Elisabeth-Stiftung, Volkshilfe Wien, Wiener Hilfswerk, Wiener Rotes Kreuz und WOBES. Ziel der Verbandsarbeit ist die Unterstützung der Mitglieder in der Wohnungslosenhilfe und die Förderung der Qualität und des Ausbaus der Dienstleistungen.